Prof. Dr. phil. med. habil. Dietrich v. Engelhardt, Wissenschafts- und Medizinhistoriker, hält den Eröffnungsvortrag des Kongresses (9. Mai, 09:30 – 10:15 Uhr, Saal Bayern). Das Thema: Medical Humanities oder Therapie als Kunst – Kunst als Therapie. Kongresspräsident Dr. med. Ulf Riker hat Prof. v. Engelhardt zu seinem Vortrag interviewt.
Sehr geehrter Herr Prof. v. Engelhardt. Auf der Suche nach einem Festredner für unseren Kongress haben wir den „heißen Tipp“ erhalten, bei Ihnen anzufragen. Und Sie haben ziemlich rasch zugesagt, was uns alle sehr gefreut hat. Ist es Ihnen leicht oder nicht ganz so leichtgefallen, ausgerechnet zum umstrittenen Thema Homöopathie Ihre Bereitschaft zu erklären? Oder anders gefragt: was verbinden Sie ganz pauschal mit der Homöopathie als Teil der modernen Medizin?
Als Medizinhistoriker ist mir natürlich Samuel Hahnemann als Begründer der Homöopathie bekannt, eine wichtige Figur im weitgespannten Spektrum der Positionen der Medizin um 1800 und ihren Beziehungen zur Philosophie der Zeit (Kant, Schelling, Hegel). Über die moderne Situation der Homöopathie bin ich weniger gut informiert. Als Medizinethiker respektiere ich empirische Erfolge, unabhängig von theoretischen Begründungen unter Beachtung der Evidenz, die allerdings nicht nur objektiv statistischer Beweis, sondern auch subjektive Einsicht bedeutet, was oft vergessen wird.
Ich habe den Begriff Medical Humanities gegoogelt und bin auf der Seite der Charité Berlin darauf gestoßen, dass der Begriff einerseits verwirrend und schwer abzugrenzen sei, dass damit aber häufig auch die Hoffnung verknüpft sei, Defizite der technisierten Medizin zu überwinden. Können Sie uns, ohne zu viel über Ihren Vortrag zu verraten zusammenfassen, was das aus Ihrer Sicht bedeutet?
„Medical Humanities“ setzt sich für eine ‚humane‘ Humanmedizin ein, die als anthropologische Disziplin neben der notwendigen technisch-naturwissenschaftlichen Basis stets die geisteswissenschaftliche Ergänzung beachtet, die Geschichte der Krankheit mit der Geschichte des Kranken verbindet, im Kranken Körper und Seele berücksichtigt, im Kranken einen Menschen mit Bewusstsein, Sprache und sozialen Beziehungen sieht und eine entsprechende Arzt-Patienten-Beziehung verwirklicht sowie in die Therapie auch die Heilkraft der Künste integriert.
Es gibt offenbar eine Zeitschrift Medical Humanities, ein Ableger des British Medical Journals. Wie werden dort die sozialen und kulturellen Implikationen des Krankseins thematisiert und welchen Stellenwert könnte Homöopathie ihrer Meinung nach in diesem wissenschaftlichen Kontext haben?
Offensichtlich werden die psychischen, sozialen und kulturellen Aspekte der Medizin, der Krankheit, des Kranken, der Therapie und Arzt-Patient-Beziehung durchgängig in den wissenschaftlichen Beiträgen dieser Zeitschrift aufgegriffen. Wie bereit die Redaktion für die Homöopathie ist, käme auf Versuche an.
Wie ist es dazu gekommen, dass im Zusammenhang mit Kranksein und Gesundheit die allermeisten geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Ansätze dem Alleinvertretungsanspruch der Naturwissenschaften unterlegen sind?
Eine wichtige und komplexe Frage, deren Beantwortung verschiedene Dimensionen berührt und beachten muss: faktische Erfolge der technisch-naturwissenschaftlichen Medizin weltweit, Bedürfnisse der Kranken und Ärzte, universitäre Ausbildung, medizinische Forschung, weltweiter sozialkultureller Kontext. In vielen medizinischen Disziplinen – vor allem Psychiatrie, Psychosomatik, Allgemeinmedizin etc. – werden geisteswissenschaftliche Aspekte stets in Diagnostik und Therapie beachtet.
Was könnten oder sollten homöopathische Ärzteverbände im deutschsprachigen Raum tun, um einen adäquaten Platz im interdisziplinären Diskurs um Krankheit und Gesundung zu besetzen? Oder anders gefragt: welche Argumente sollten wir in den Mittelpunkt unserer Bemühungen stellen, eine stabile und positive Reputation der Homöopathie auch für die Zukunft zu gewährleisten?
Entscheidend wird immer die Subjektivität des kranken Menschen, das Konzept von Gesundheit und Krankheit, Sterben und Tod, das Verständnis der Therapie und Beziehung zwischen Arzt und Patient, die allgemeine sozialkulturelle und vor allem mediale Situation und keineswegs nur die spezielle Situation der Medizin sein.
Sehr geehrter Herr Prof. v. Engelhardt, wir danken Ihnen sehr für Ihre Zeit und sind sehr gespannt auf das, was Sie uns 9. Mai in Lindau vortragen werden!
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